Von Hirschen, Suddln
und Mundnschei ...


- Ein Ausflug mit Jaroslav Zapletal zum Kranichsee
und der Sachsengrenze bei Sauersack-

Ein guter Tag für eine Wanderung...

Es war der 23. September - der von den Meteorologen angekündigte letzte schöne Altweibersommertag in diesem Monat.
Mit Temperaturen von über 20 Grad war dieser Tag geradezu geschaffen für eine Wanderung. Deshalb beschlossen Herr
Jaroslav (Jari) Zapletal und ich uns kurzfristig, einen Ausflug zur Sachsengrenze und zum Kranichsee - einem gefährlichen
Hochmoorsee in der Nähe des ehemaligen Dorfes Sauersack - zu machen. Jari ist mein einzig bekannter in Silberbach/Graslitz
lebender Verwandter und Heimatforscher, der mir als Freund und Verbündeter in der Sache, die Erinnerung an Silberbach
zu erhalten, sehr ans Herz gewachsen ist.

Doch nicht nur das schöne Wetter gab uns Anlass zu diesem Ausflug: Es war auch die Zeit gekommen, in der die Brunft der Hirsche
ihren Höhepunkt erreichen würde. Früher, so erzählte Jari, konnte man sie oben "am Sauersack" sehr gut hören und sehen, doch durch
den Baumfraß wurden viele Hirsche geschossen, wodurch deren Zahl rapide abnahm. Auch war das Wetter nicht gerade passend:
Es war zu warm und trocken, was uns aber nicht davon abhielt, doch unser Glück zu versuchen.

Wir fuhren also über Nancy den Buchhammel hinauf und stellten das Auto an einem Waldparkplatz bei Sauersack ab.

 

Unheimliche Stille ...

Von da an ging es durch einen tiefen und dunklen Wald, der uns zu unserem Ausflugsziel führen würde. Während wir uns immer weiter
von jeglicher Zivilisation und immer tiefer in die unberührte Natur vorwagten, unterhielten wir uns nur noch im Flüsterton, um eventuell
auftauchendes Wild - vor allem Hirsche - nicht zu verschrecken.

Es war totenstill und trotz noch nicht eingebrochener Dämmerung war es dunkel. Die Atmosphäre war schaurig. Es war weder
Vogelgesang noch das Motorengeräusch eines Autos zu hören - ja, nicht einmal in der Ferne. Man konnte wahrhaft seinen eigenen
Herzschlag hören und auch spüren.

Nur manchmal hörte man das Rascheln der Blätter oder ein Knacken im Unterholz, das inmitten des ruhigen Waldes fast schon
befremdlich war und man manchmal sogar innerlich zusammenzuckte. Ich konnte mir nun vorstellen, was Adolf Lienert in seinem
Buch mit dem Begriff "
ååzaagn von einem Unheil" beschreiben wollte. Auch Jari erwähnte später diesen Begriff im Zusammenhang
mit dem, was wir auf unserer Wanderung gehört haben.

Plötzlich durchbrach ein leiser, dumpfer unheimlicher Ton die bedrückende Stille. "Hörst Du das?", fragte Jari. Für einen kurzen
Moment hielten wir die Luft an und konzentrierten uns auf das leise Geräusch, das kilometerweit entfernt sein musste. Einige Sekunden
später wußte ich, was es war: Trotz der schlechten Bedingungen hörten wir das Brummen der Hirsche.

Nach einiger Zeit des Wanderns wurde der Wald rechts von uns plötzlich niedriger. Jari erklärte, dass
dort, wo man das Knieholz sieht, bereits das Moor war.

Je weiter wir Richtung Sachsengrenze gingen, desto unheimlicher wurde die mörderische Stille um uns herum. Ich konnte es kaum
fassen, dass es noch ruhiger um uns herum sein könnte. Um den Kranichsee gibt es so gut wie keine Zivilisation:
kein Dorf, keine Weiler - nichts als tiefer dunkler Wald und unberührte Natur.

 

Die Sachsengrenze ...

Wir liefen auf fast nicht mehr sichtbaren Wegen, die mir Jari als die alte Straße zur Sachsengrenze beschrieb. Es war
fast kaum zu glauben, wie sehr der Zahn der Zeit an diesen alten Wegen genagt hatte. Im wahrsten Sinne des
Wortes war mit den Jahren Gras darüber gewachsen.

Auch der Grenzstreifen war schon etwas verwachsen, doch ihn konnte man noch gut sehen. Ich erfuhr, dass der Streifen einige
Meter von der eigentlichen Grenze entfernt war, um eventuelle illegale Grenzübergänger noch rechtzeitig
vor dem Überqueren der Grenze aufzuhalten.

Wir liefen einen Bogen um den Kranichsee herum, um nicht zu tief durch den nassen Boden waten zu müssen, doch mit
jedem Meter, den wir dem Moor näher kamen, wurde der Boden nasser und sumpfiger. Unsere Schuhe füllten sich zunehmend
mit Wasser - in meinen Schuhen schlug das Wasser schon Wellen, aber das war mir egal, denn die Faszination für das
Naturschauspiel des gefährlichen, aber wunderschönen Hochmoorgebietes war stärker.

Ich sah das Ganze sportlich und positiv: Manche Leute würden teueres Geld dafür bezahlen, um durch das Moorwasser, das
nebenbei eine heilende Wirkung besitzt, zu stapfen. Wir bekamen diese "Behandlung" gratis.

Um uns herum entdeckten wir auch viele "Suddl". Ich kannte dieses Wort nicht, doch Jari erklärte mir schnell, dass dies der
Silberbacher Ausdruck für das Wort "Pfütze" war und wahrscheinlich von dem Verb "suhlen" kommt. Des Weiteren erfuhr ich,
dass in diesem Gebiet auch der Sonnentau - eine rar gewordene fleischfressende Pflanze - vorkommen würde.

Ich selbst wußte nach einiger Zeit nicht mehr, wo wir überhaupt hinliefen und ich bewunderte Jaris Orientierungssinn. Ohne ihn
hätte ich es wohl sehr schwer gehabt, den Weg zurück zum Auto zu finden.

 

Am Kranichsee ...

Der Weg wurde zunehmend unebener und wir mussten zeitweise über große Wasserlöcher springen, um nicht einzusinken - und
schließlich hatten wir unser Ziel erreicht: den Kranichsee!

Schmunzelnd musste ich an meinen letztjährigen Urlaub in Silberbach denken, an dem ich noch dachte, dass der Kranichsee
ein Badesee wäre und einen Badeausflug in Betracht zog. Das wäre eine Überraschung geworden!

Während wir den Kranichsee umkreisten, um eine bessere Aussicht für einen Schnappschuss zu bekommen, erzählte mir Jari,
dass der See früher viel größer war. Durch die Klimaveränderung konnten Pflanzen und Gräser dort wachsen, wo einst nur Wasser war.
Er zeigte in die Ferne und sagte, dass hinter den Bäumen noch ein zweiter Teil des Sees sei.

Den Rückweg traten wir über den früheren Grenzweg an, der zwar etwas länger, aber dafür trockener war. Auf unserem
Weg liefen wir an einigen Schildern vorbei, die die Grenze zu Sachsen und das Naturschutzgebiet markierten.

Nebel über der großen Wiese ...

Doch damit war der Ausflug noch längst nicht beendet, denn Jari zeigte mir noch ein Flurstück - etwas außerhalb von Sauersack ,
das "die große Wiese" genannt wurde, über welche früher viel gepascht (geschmuggelt) wurde. Dort standen einst auch
einige Häuser, die zum Ort gehörten.

Jari blieb plötzlich wie erstarrt stehen und lauschte in die Ferne. Inmitten der noch immer vorherrschenden unheimlichen Stille konnte
ich ein sehr leises, aber doch vernehmbares Brummen der Hirsche hören. Jari vermutete, dass es aus der
Richtung "Hirschenstand" (Jeleni) kommen könnte.

Langsam kündigte sich auch schon die Nacht an: Der Mond stand schon hoch am Himmel und die Dämmerung war gekommen.

Auf unserem Rückweg zum Auto konnten wir noch ein fantastisches Naturschauspiel beobachten: Ein leichter Nebel legte sich gespenstisch
über das rötlich gelbe Gras der Sauersacker Landschaft und wurde von Minute zu Minute dichter. Jari erklärte, dass dieser Nebel durch den Temperaturunterschied des kalten Wassers der durch Sauersack fließenden Rohlau und der Lufttemperatur, entstünde.

Völlig durchnässt, aber glücklich von dieser Wanderung durch die unberührte Natur des Hochmoorgebietes kamen wir wieder
am Auto an und fuhren durch die inzwischen angebrochene Nacht den Buchhammel hinab Richtung Silberbach.

 

Fazit
Ich hatte mich - wie immer - sehr auf den gemeinsamen Ausflug mit Herrn Zapletal gefreut und er hat
es auch wieder einmal geschafft, mich zu beeindrucken und diesen Ausflug zu einem Erlebnis
zu machen, das man nicht so schnell vergisst.

Auch habe ich während unserer Wanderungen wieder Einiges von ihm gelernt. Er erklärte mir beispielsweise,
dass die Bedeutung des Ortsnamens Sauersack nichts mit einem "saueren Sack" zu tun hatte, sondern dadurch
entstand, dass die Erde aufgrund des saueren Wassers absackte.

Ich möchte mich auch auf diesem Wege wieder herzlich bei ihm für dieses spannende und lehrreiche Erlebnis bedanken.
Seine Hilfe, Freundschaft und Unterstützung vertiefen meine ohnehin schon sehr große Liebe zur einstigen Heimat meiner
und unserer gemeinsamen Vorfahren und meiner jetzigen selbsternannten zweiten Heimat und zeigen mir Seiten
dieser Umgebung, von denen ich nicht einmal zu träumen gewagt hätte.


Benjamin Hochmuth
(Karlwenz)