WIE WIR DEM KARLWENZ-JOHANN
EIN DENKMAL ERRICHTETEN

Vor einigen Tagen - ich hatte unverhofft frei bekommen - entschloss ich mich nach unserem Familiengrab in Silberbach zu sehen. Da sich das Grab im letzten Drittel (etwa über der Bürgerschule) unterhalb einiger Bäume befindet, gibt es bei jedem Besuch etwas zu tun. Herabfallende Blätter oder gar Äste sind dort ständig zu finden.

Als ich mit meiner Gießkanne bewaffnet etwa die Mitte des Friedhofes erreichte, fiel mir ein bekanntes Gesicht auf, das sich ebenfalls um sein Grab kümmerte. Da ich mir nicht ganz sicher war, ob es sich wirklich um die vermutlich bekannte Person handelte, begrüßte ich sie mit einem "Dobrý den!" dem sicherheitshalber ein "Grüss Gott" folgte.

Da mir als Antwort ein "Dobrý den!" erwidert wurde, dachte ich anfangs nicht, dass es sich um den deutschsprachigen Silberbacher handelte, den ich bei unserem ersten Besuch und Familienausflug 2009 auf dem Friedhof traf. Deshalb ging ich weiter und fing am Grab angekommen an, das herabgefallene Laub herauszupicken.

Nach kurzer Zeit stand der vorher erwähnte Mann vor meinem Grab und sprach mich nochmals an. In der Nähe des Zaunes, etwa fünf Gräber dahinter war ein Komposthaufen, auf dem alte verwelkte Blumensträuße und ähnliche Abfälle ihre letzte Ruhestätte fanden - dort wollte er wohl seine Grababfälle hinbringen, weshalb er nochmals unmittelbar an dem von mir gepflegten Grab vorbeikam.

"Machst wohl auch Ordnung?" fragte er mich im schönsten klingenden unverfälschten Silberbacher Dialekt. Von da an war ich mir wieder sicher, dass es sich um den schon jahrelang bekannten Silberbacher handelte. Wir kamen eine kurze Weile ins Gespräch, trafen uns später noch einmal und verabschiedeten uns schließlich wieder.

Während des Gespräches am Grab sprach er davon, dass er meine Familie gut kannte - vor allem meinen Gruäß (Großvater). Diese Aussage erinnerte mich daran, dass ich das Grab erst vor etwa einem Jahr mit Hilfe einiger netter Menschen wieder kenntlich machte und auch einen kleinen Bericht darüber schrieb, den ich aber noch nirgendwo veröffentlichte.

Dies möchte ich nun nachholen. Sicherlich gibt es einige, die den Karlwenz Johann oder seinen Sohn - meinen Urgroßvater - Pepp kannten. Wahrscheinlicher wäre es jedoch, dass mein Großvater Rudi noch einigen von euch in Erinnerung geblieben ist. Vielleicht ist dieser Artikel für den Einen oder Anderen aus diesem Grunde interessant:

 

DAS VERWILDERTE GRAB


Einsam und völlig verlassen lag es dort - das alte Grab im hinteren Bereich des Mittelgangs auf dem Silberbacher Friedhof. Die Graniteinfassung war vollkommen mit Moos und Erde überdeckt und befand sich auch nicht mehr auf dem Fundament.

Plastikblumen, Äste, Steine und Unkraut wucherte im Inneren des Grabes und kein Stein - ja nicht einmal ein kleines Holzkreuz gaben Aufschluss darüber, dass in diesem Grab ein rechtschaffender und tüchtiger Geschäftsmann sowie stolzer Vater von sage und schreibe 9 Kindern lag.

Wer hätte sich aber um ihn kümmern sollen? Niemand hätte ihm ein Licht anzünden können - es war keiner mehr da. Ein sinnloser Krieg - von der Machtgier eines uns wohl bekannten und verachteten deutschen Herrschers angetrieben und dem darauffolgenden Schrei nach Rache eines durch diesen Herrscher geschundenen und benachteiligten Volkes beendet - hat schlimme Dingen zwischen den Völkern angerichtet und ein seit Jahrhunderten in der Heimat ansässiges Volk vertrieben, zu der auch die Hochmuths gehörten.

So lag Johann nun schon fast 90 Jahre lang mutterseelenallein in seiner letzten Ruhestätte. Seine liebe Frau - Antonie Hochmuth (geborene Weck) - verstarb in der Fremde und lag dort im hunderte von Kilometern entfernten Oberbayern. Ihr vorbestimmter Platz im Familiengrab blieb leer. Nur seine Tochter Amalie, die ihrem Vater nach sechs Jahren in den Tod folgte, lag in einem der ebenfalls verwitterten Nachbargräber.

Über ein Jahr lang war ich auf der Suche nach seinem Grab, wollte sicher gehen,. dass es nicht das Falsche war und nun - Dank der Hilfe meiner "Urgroßcousine" Traudl (Tochter von Johanns Tochter Anna), habe ich ihn gefunden: Meinen Ur-Urgroßvater.

Ich konnte nicht umhin auch an seinen Sohn - meinen Urgroßvater, den Karlwenz Pepp (Josef Hochmuth) - zu denken. Als Johanns Nachfolger im Gasthof "Zur guten Quelle" und der Fleischerei, die ein traditionsreiches Familienunternehmen im Aufbau war, hätte er sicherlich auch einen Platz im 4 m² großen Familiengrab inne gehabt.

 


MONTAG - DAS GRAB WIRD ERSTANDEN


Dank meines über die Familie meiner Urgroßmutter (Anna Lausmann) Verwandten und ebenfalls guten Freund Jari Zapletal konnte ich die Grabstelle für die nächsten 10 Jahre mieten. Mein seit einem Jahr (Oktober 2009) erlerntes Tschechisch reichte für solch eine Verhandlung in der Silberbacher Gemeinde nämlich noch nicht ganz aus.

Der Grabplatz war alles andere als teuer. Weitaus weniger als die vorher angenommenen 50 Euro musste ich bezahlen - und noch weniger, wenn es nur ein Einzelgrab gewesen wäre. Bei all den Formalitäten freute ich mich, dass die Gemeindeangestellte wissen wollte, was aus unserer Familie geworden war. Sie wollte dies für die Dorfchronik aufnehmen. Es sah ganz so aus, als hätte Silberbach ein ehrliches Interesse am Schicksal der Hinterbliebenen.

Als wir das Grab bezahlt und den Antrag ausgefüllt abgegeben hatten, bekam ich ein Kunststoffplättchen mit Keil, das ich in das Grab stecken sollte. Durch die darauf gedruckte Nummer 289 war gewährleistet, dass ich der rechtmäßige Besitzer des Hochmuth-Familiengrabes war.

Gesagt, getan gingen Jari und ich zum Friedhof und steckten das Plättchen in das noch trostlos aussehende Grab. "Nicht mehr lange wirst Du so aussehen", dachte ich mir und freute mich auf den Samstag, denn an diesem Tag hatte ich vor, das Grab herzurichten.

Ich war Jari sehr dankbar und lud ihm nach Graslitz zum Essen ein. Wir verlebten noch einen sehr heiteren und schönen Abend.

 


SAMSTAG - ES GEHT AN DIE ARBEIT


Wir fuhren sehr früh los, um möglichst viel Zeit für unsere Aktion zu haben. Ich hatte meinen Vater gebeten mitzukommen, da ich in Sachen Betonieren und Restaurieren dringend Hilfe nötig hatte. Mein Vater war eher der geübtere Handwerker in unserer Familie.

Schon als wir unseren Weg in die etwa 90 km entfernte alte Heimat Silberbach antraten, hatten wir das Auto bereits mit Werkzeug voll beladen. Über dem Werkzeug lag ein großes Holzkreuz, dass wir bei unserem örtlichen Bestatter erstanden und mit einer schwarzen Kunststofftafel versehen hatten.

In weißen Drucklettern war darauf zu lesen:

JOHANN HOCHMUTH
(KARLWENZ - JOHANN)

FLEISCHER & GASTWIRT
* 25.03.1872 + 12.11.1921

Über der Tafel hing ein Bild von Johann, dass ich laminierte und mit Silikon am Kreuz befestigte. Ich war mir nicht sicher, ob es der Witterung stand halten würde - einen Versuch war es wert.

Unterwegs hielten wir im sächsischen Adorf und kauften dort in einem großen Baumarkt säckeweise Graberde und Fertigbeton. Nun waren wir gerüstet und konnten unser Vorhaben in die Tat umsetzen.

Einen kurzen Zwischenstopp machten wir in der Gastwirtschaft "Langer" in Schwaderbach, um uns für die bevorstehende Arbeit zu stärken. Im Nachhinein bin ich froh, dass wir vor der Arbeit dort waren, denn am Nachmittag oder Abend wären wir sicherlich dazu nicht mehr in der Lage gewesen. Mehr aber dazu später.

 


AM SILBERBACHER FRIEDHOF

Nun standen wir vor dem Friedhofstor, zwei Generationen - Vater und Sohn - Urenkel und Ur-Ur-Enkel von Johann Hochmuth, wild entschlossen, die Erinnerung an ihn wieder aufleben zu lassen.

Für einen kurzen Moment dachte ich an meinen Großvater Rudolf Hochmuth. Wie gerne er doch bei diesem Vorhaben mitgewirkt hätte. Er wäre beim Betonieren, Graben und Spachteln in seinem Metier gewesen. Vor ein paar Jahren noch war er froh und glücklich, wenn er in unserem Wald Holz sammeln oder den Teich auf unserer Wiese ausheben und vergrößern konnte. Er war den Sommer über meist auf unserem kleinen Einödhof und verrichtete leichte Arbeiten - aber nicht, weil es sein musste, sondern weil er großen Spaß daran hatte. Leider ging dies aber nicht - er erholte sich gerade von einer sich lange hinziehenden Krankheit und war deshalb außer Gefecht gesetzt.

Der erste Schritt in der Restaurierung des Grabes war zugleich der kraftaufwändigste. Wir mussten die Granitfassung wieder auf das Fundament stemmen und die Granitblöcke mittels der Eisenriegel wieder zusammenhängen. Bevor wir das aber machen konnten, mussten wir die Fassung ausgraben.

Wir entfernten also die Plastikblumen, Steine, Äste, Wurzeln und das ganze Unkraut, dass sich über Jahrzehnte hinweg angesammelt hatte und legten die Granitblöcke frei. Zu unserer Erleichterung war alles trotz der Vernachlässigung noch gut erhalten.

Nun war Kraft gefragt: Ich holte eine lange, schwere Metallstange aus dem Auto und zerrte sie zur Grabstelle. Dann legten wir sie sachte unter den verschobenen Granitblock der Einfassung und drückten ihn mittels Hebelgesetz zurück auf das Fundament. Da die Blöcke sehr schwer waren, brauchten wir mehrere Arbeitsschritte und Anläufe, um dies zu schaffen.

Nach einigem "Gfrett" (mühsamer Plackerei) sahen wir stolz auf das Grab, das nun nicht mehr schief lag. Die alten Eisenriegel, die die Einfassung einst zusammenhielten waren sehr verrostet. Dennoch tauschten wir sie nicht aus. Wir brachten sie an den Ecken an und kippten in jede Ecke eine große Menge an Beton. Mein Vater sah sich das ganze entspannt an und sagte: "Das kann nicht mehr rosten - das hält für die Ewigkeit."


REGEN SETZT EIN


Das Wetter war nicht gerade verlockend. Es wehte ein kalter Herbstwind und als wir den Friedhof betraten, fing es auch schon leicht zu nieseln an. Aus dem Nieselregen wurde aber inzwischen starker Regen und wir hatten große Mühe, den Beton vor dem sintflutartigen Regen zu schützen. Wir konnten wahrhaftig zusehen, wie uns der Beton vor den Augen davonlief. Zum Glück war das Grab durch die vielen Bäume ringsherum ein wenig geschützt, sonst hätten wir unser Vorhaben wohl abbrechen müssen.

Stattdessen nahmen wir das große Holzkreuz, stellten es in das recht tief ausgehobene Loch und füllten dieses ebenfalls mit Beton. Um alles vor dem herabfallenden Wasser zu schützen zerrissen wir Einkaufstüten, die wir im Auto fanden, legten sie auf den frischen Beton und beschwerten die Plastiktüten mit den schweren Schiefersteinen, die wir beim Entfernen des Unkrauts aus der Grabstätte fanden.

Als ich mir die betonierten Ecken der Einfassung so ansah, kam mir plötzlich eine Idee: Ich nahm noch etwas Beton und formte einen viereckigen Sockel an der rechten vorderen Ecke des Grabes. Darauf legte ich eine Fliese und befestigte die Grablaterne per Silikon an dieser. Über das Ganze wurde natürlich auch wieder eine Plastiktüte gestülpt, um trocknen zu können.

Zwischendurch kam Jari vorbei - er musste im Dorf noch etwas erledigen, wollte aber kurz Hallo sagen, was mich sehr freute. Durch den Regen war mein Arbeitsoverall von oben bis unten mit Schlamm bedeckt und auch meine Hände waren sehr schmutzig. Ich begrüßte ihn mit den Worten "Hallo Jari - ich würde Dir gern die Hand geben, aber schau Dir das mal an." Kurzerhand griff er nach meinem Ärmel, schüttelte diesen und erwiderte: "Dann machen wirs eben so!" - doch auch der Ärmel war voller Schlamm, der nun auch auf seiner Hand war.

Es war schon fast dunkel, als wir uns entschlossen, die Arbeit zu beenden. Wir wollten den Fortschritt am Grab fotografisch festhalten, doch es war schon zu dunkel und durch das nasskalte Wetter hatte sich ein fast schon gespenstischer Nebel um das Grab gelegt, weshalb kein Foto so richtig gelang. Von Suddl (Schlamm) bedeckt, traten wir unseren Heimweg an, ohne irgendwo zu halten - glücklicherweise waren wir schon mittags in Schwaderbach essen.


SONNTAG NACHMITTAG: DIE GANZE FAMILIE HILFT MIT

Die Arbeit war fast fertig, doch die Dunkelheit ließ uns am Samstag keine andere Wahl, als abzubrechen. Dennoch konnten wir es nicht erwarten, das Angefangene zu beenden und kehrten deshalb schon am nächsten Tag nach Silberbach zurück. Diesmal war auch meine Mutter dabei, die uns mit ihrer jahrelangen Erfahrung im Gräber anpflanzen Tipps gab und ordentlich mithalf.
Zum Glück war das Wetter besser und der Beton schon einigermaßen fest geworden. Das Grab selbst war fertig. Mir fielen zwar noch einige kleine Risse im Fundament auf, aber ich beschloss, mich erst im nächsten Frühjahr darum zu kümmern.

Nun ging es nur nach an die Verschönerung. Ich schrubbte die dunkelgraue Einfassung mit einer Wurzelbürste und benutzte außerdem einen starken Algen- und Moosentferner. Als ich den durch das Schrubben entstandenen Schaum mit Wasser abwusch, konnte ich meinen Augen kaum trauen: Die dunkelgraue Einfassung war plötzlich weiß. Das Grab erstrahlte plötzlich in einem ganz neuen Licht.

Meine Mutter pflanzte kleine Büsche und andere Pflanzen, die den Winter überstehen würden, an das Grab. Besonders gut gefielen mir die kleinen Sträucher, die kleine Beeren trugen, die wie kleine Vogelbeeren aussahen.

Zuletzt wischte ich noch einmal über das Holzkreuz und das Grab war fertig.

Nach 64 Jahren stand das Grab des Karlwenz-Johann endlich wieder in seiner vollen Pracht vor uns. Es war ein ergreifender Moment, denn es war nicht nur ein Denkmal für meinen Ur-Urgroßvater, nein, es war ebenfalls ein Denkmal für alle Hochmuths, deren Heimat einst Silberbach war. Nun konnte man wieder sehen, dass auch diese Familie in Silberbach lebte. Sonst existierte kein Grab mit unserem Namen auf dem Friedhof mehr.

Ich war in diesem Herbst noch sehr oft in Silberbach, um zu wandern, die Seele baumeln zu lassen oder mich mit Jari zu treffen, doch zuerst war ich immer an unserem Familiengrab, um ein Vater-Unser zu sprechen und herabgefallene Blätter und Äste zu entfernen.

Abschließend möchte ich mich noch bei Jari bedanken, der in meiner Abwesenheit in diesem Herbst auch öfter nach dem Rechten gesehen hat und an Allerseelen sogar für uns stellvertretend ein zusätzliches Licht auf das Grab gestellt hat.


Und so sieht heute das Grab des Johann Hochmuth in Silberbach aus:

Benjamin Hochmuth (Karlwenz)