Bild aus Adolf Lienerts "Silberbach - Woher wir kommen, nichtvertriebene Erinnerungen"

Eine Sage vom Spitzberg
von Heimatforscher Adolf Böhm - Schwaderbach (+ 1946)

Drüben in Böhmen erhebt sich inmitten eines Waldparadieses der Spitzberg, wohlbekannt und
beliebt in den Reihen der Naturfreunde, die alljährlich Wanderfahrten hierher unternehmen, auf
dem Gipfelfelsen des Berges rasten und sich an einem Fernblick ergötzen, der seinesgleichen
im ganzen Vogtlande und seinem Nachbargebiet nicht mehr hat. Schon aus weiter Ferne winkt
der scharfgeschnittene Kegel des Berges! Näher und näher rückt er und trotz doch in weiter Ferne,
wo er den Wanderer zu narren scheint, der im langgezogenen Silberbachtale entlang geht. Das
königliche Haupt des Berges, der dem östlichen Gebirgszug ein eigenes Symbol verleiht, scheint
hier in dem unermeßlichen Waldlande versunken zu sein. Doch mit Beharrlichkeit schreite man
weiter und schlage im Ortsteile Nancy den Reitsteigweg ein, der unsere stille Sehnsucht hinauf
zum Gipfel bringt. Verträumt und einsam wird hier von Fichtengrün umwacht ein einfaches Jagdhaus,
das einstmals der Herrschaft Nostitz gehörte. Eine Gräfin aus dem Hause hatte das Plätzchen hier
so an ihre französische Heimat Nancy erinnert, dass ihr Gatte den Ort mit dem fremdklingenden
Namen benannte.

Wir steigen mehr und mehr aufwärts; rings um uns ist eine Waldespracht, die zu jeder Jahreszeit
ihre Reize zu spenden versteht. Am Kamme angelangt, kreuzt den Reitsteig der Neudörfer Weg,
der seine Fortsetzung auf den Gipfel des 993 Meter hohen Spitzberg nimmt. Von der Wegkreuzung
angefangen, merkt man nichts mehr von einem Aufstieg, - schier eben trollt der Karrenweg dahin.
Ganz unerwartet stehen wir plötzlich am Bergesgipfel, der von mehreren übereinander geworfenen
Felsungstürmen aufgetürmt ist. Wind zerrt ungestüm an unseren Kleidern, springt in das Genadel
der Fichten und harft hier ein urewiges Lied. Waldland ist rings um uns. Nur hier und da blitzen
Teile einzelner Ortschaften auf, halt untergetaucht in Wald und Berge. Eine Krähe rudert gelassen
über das grüne Meer. Mit ihr ziehen unsere Blicke in die weite, herbe Einsamkeit vor uns. Gedanken
und Traumgebilde kriechen zu uns heran, sie umspinnen uns mit goldenen Fäden und durch die
Maschen des Netzes lispelt Frau Sage ein Märlein zu:


Vor hundert Jahren stand hier eine feste Burg. Weit ins Land blinkten ihre Zinnen. Kühn stieß der
Bergfried in das ziehende Gewölk und arge Gesellen lugten weit in die Runde nach Abenteuern
und klirrendem Kampf. Der Burgherr war ein Wüstling, der Böses zu Bösem häufte und nimmer
rastete, bis eines Tages die gerechte Strafe aus dem Himmel herniederbrach und seine Burg
in einen einzigen Stein verwandelte, unter dem alle Sassen der Veste samt unermeßlichen
Schätzen begraben wurden. Wind und Wetter, Regen und Frost trieben an dem Gestein ihr
Zerstörungswerk. Ihre stetigen Kräfte zerfraßen den Fels und zerlegten ihn in gewaltige Trümmer,
die noch heute das Berghaupt umlungern. Tief unten im Gefels liegt die Schatzkammer verborgen.
Wer zu dem hier verwahrten Hort dringen will, muss den Schlüssel finden, der in einem Kreuzottern-
nest liegt. Gar bösartig ist das giftige Gezücht, das umsichtig und verderbenbringend den Schlüssel
hütet. Darum vermag man nur am Bartholomäustage unbeschadet zu dem Neste zu gelangen; denn
an diesem Tage ist das Gift der Nattern wirkungslos. Der glückliche Finder vermag jetzt das Tor der
Schatzkammer zu öffnen. Er darf Schätze nehmen soviel er verlangt, doch mag er sich hüten; denn
am Eingange des Felsengelasses lauert eine große Gefahr. Hier hängt von der Decke herab das
Schwert des Raubritters, das bei der geringsten Berührung den augenblicklichen Tod bringt.

Ganz leicht kann man zu dem Kreuzotternnest gelangen, wenn man die goldene Kette findet, die einst
der Spitzberggeist "Stollenzahl" einer Gräfin von Nancy zum Brautgeschenk gemacht hat. Die Gräfin
trug einmal die Kette auf einer Jagd und als des Hifthorns Schall das Getier des Waldes scheuchte und
das junge Weib auf seinem Zelter einem prächtigen Hirschen nachjagte, da fing ein Fichtenreis das
blitzende Gold vom Halse der Gräfin und warf es in das wuchernde Beerenkraut. Beim Halali erst
entdeckte die Frau den Verlust ihres teueren und kostbaren Geschmeides und erschrak dermaßen,
dass sie tot in die Arme eines Jägers fiel. Der Berggeist, der dem Weibe zugetan war, trauerte sehr
um das junge Leben. Er haderte mit sich selbst, ließ die Stürme tosen, dass es im Walde krachte und
knackte, er stäubte den Regen über die Berge und ließ die Waldbäche in wilder Wut schäumen und
rasen. Es half ihm aber all seiner Ungebärde nichts und schließlich erstarb auch sein Groll. Um
wenigstens eine Erinnerung an das Weib zu haben, sucht er noch immer unentwegt die Kette und
zeigt jenem Menschen das Natternnest mit dem Torschlüssel der Spitzenburg, der ihm die Kette
bringen wird.